Welle der Automatisierung im Tiefkühllager
„Think Tomorrow“ heißt das Motto der SSI SCHÄFER Gruppe, eines weltweit agierenden Lösungsanbieters für alle Bereiche der Intralogistik. Der TK-Report, das deutschsprachige Tiefkühl-Fachmagazin, sprach mit Dirk Werthmann, Senior Project Engineer Logistics, Market Sector Production Logistics bei SSI SCHÄFER, worauf es bei ganzheitlichen Lösungen in der Projektierung von Intralogistikprojekten ankommt, über die besonderen Anforderungen von Tiefkühllagern und wie Automatisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz das Warehousing grundlegend verändern.
Herr Werthmann, welche spezifischen Anforderungen stellt die Lebensmittelbranche an die Intralogistik?
Das Produktportfolio in den Supermärkten wird immer breiter, das heißt die Stock Keeping Units, die wir handhaben müssen, werden immer mehr. Das sieht man in der gesamten Logistikkette, angefangen bei den Produzenten: Haben sie früher mit Vollpaletten agiert, hält dort beispielsweise die lagenweise Kommissionierung Einzug, weil die Lebensmitteleinzelhändler immer geringere Teilmengen bei den Produzenten ordern - gerade bei Produkten mit geringerer Nachfrage. Eine „store-friendly Kommissionierung“ und effiziente Prozesse sind weitere Anforderungen, die aus dem Lebensmitteleinzelhandel heraus an uns herangetragen werden.
Was heißt das konkret für Sie?
Zweierlei: Zum einen wird von den Produzenten eine immer stärkere Kommissionierung gefordert, zum anderen eine Sequenzierung in den Distributionszentren der Lebensmitteleinzelhändler. Damit gehen höhere Kosten einher, denen wir mit einem passgenauen Automatisierungsgrad begegnen. Die lagenweise Kommissionierung lässt sich unserer Erfahrung nach sehr gut automatisieren und mit Blick auf den Return on Investment effizient darstellen. Auch die teureren, technisch sehr viel komplexeren Anlagen zur vollautomatischen Kommissionierung für den Einzelhandel werden zunehmend global nachgefragt. Im Lebensmittelbereich erleben wir gerade eine Welle der Automatisierung bei den großen Einzelhandelsketten – bedingt durch steigende Personalkosten und einen hohen Personalmangel.
Was bieten Sie an? Wie breit ist Ihr Produktportfolio?
SSI SCHÄFER versteht sich als One-Stop-Shop. Bei uns bekommt der Kunde alles, was er für ein automatisiertes Intralogistiksystem braucht. Wir haben einen sehr hohen Eigenfertigungsanteil und können dadurch flexibel auf Kundenwünsche reagieren. Komponenten, die wir nicht selbst produzieren, beziehen wir von sorgfältig ausgewählten Partnern. Dabei legen wir großen Wert darauf, dass sich alle eingesetzten Produkte nahtlos in unsere System- und Softwarewelt integrieren lassen – eine Voraussetzung für höchste Anlagenverfügbarkeit. Wir bieten unseren Kunden auch Baudienstleistungen an, angefangen bei Bodenplatte, Wand und Dach für Hochregallager. Sofern sinnvoll, übernehmen wir auch weitere Gebäudebauten, die im Zuge einer Lager- oder Logistikrealisierung umgesetzt werden. Zudem verfügen wir über kompetente Bauingenieure, die uns sowohl in der Vertriebs- als auch in der Abwicklungsphase intensiv unterstützen. Wir stellen fest, dass das gerade kleinen und mittleren Unternehmen hilft, denn ein Hochregallager baut man nicht jedes Jahr. Wir versuchen, das Projekt für unsere Kunden so effizient wie möglich zu gestalten und die Investition ganzheitlich zu begleiten. Gerade für den Tiefkühlbereich ist das interessant, weil dieser sehr mittelständisch geprägt ist und höhere Anforderungen an Gebäudehüllen und das Gebäude insgesamt stellt.
Welche Serviceleistungen umfassen Ihre Angebote an die Kunden?
Was passiert dann in der Servicephase?
Die Realisierung ist in der Regel nach zwei Jahren abgeschlossen, und dann geht es in den Service. Wir haben den Ansatz, dass wir den Kunden vom Go-live bis zum Ende des Anlagenlebenszyklus zu begleiten. In unserem Webshop können Ersatzteile bestellt werden. Natürlich bieten wir auch die umfassende Wartung und Instandhaltung der Anlage an, um die Anlagenverfügbarkeit jederzeit sicherzustellen. Kunden, die bestimmte Serviceleistungen eigenständig durchführen möchten, unterstützen wir mit gezielten Trainingsprogrammen. So stellen wir sicher, dass Wartungsarbeiten fachgerecht und in der gewünschten Qualität erfolgen. Auch wenn es darum geht, eine Anlage umzubauen oder zu erweitern, steht unser Servicebereich dem Kunden mit Rat und Tat zur Seite.
Gibt es Fallbeispiele für Kunden aus der Tiefkühlbranche?
Beispielsweise hat ein deutscher Maultaschenhersteller von uns ein neues System erhalten, das vor einem Jahr in Betrieb genommen wurde. Ein tolles Projekt konnten wir auch bei Aviko Deutschland in Rain am Lech realisieren: Dort durften wir die Steuerung und die IT-Anlage der alten Anlage ablösen und zusätzlich ein neues Hochregallager daneben errichten. Neben weiteren Kunden in Deutschland konnten wir zahlreiche TK-Projekte rund um den Globus umsetzen. Für Innnes, Islands führendem Großhändler und Importeur von hochwertigen Lebensmitteln, realisierten wir eine innovative Kombination aus automatisierten und manuellen Systemen über drei unterschiedliche Temperaturzonen, in denen Trocken-, Tiefkühl- und Frischeprodukte gelagert werden. Oder United States Cold Storage in den USA, ein 3PLer, für den wir eine Anlage in Minooka, Illinois, umsetzen durften. Auch in Asien sind wir aktiv: Z.B. haben wir für den Frühlingsrollenspezialisten TYJ ein riesiges Lager im dicht bebauten Singapur errichtet.
Auf welchen Märkten sind Sie aktiv und welches sind Ihre Kernmärkte?
Die DACH-Region ist unser Kernmarkt, vertreten sind wir jedoch auf sechs Kontinenten in 80 operativ tätigen Gesellschaften und an sieben Produktionsstätten. Dort haben wir Ansprechpartner im Vertrieb und im Service. Diese lokale Struktur ist uns sehr wichtig, denn nur so findet mit den Kunden eine Kommunikation auf Augenhöhe und in Landesprache statt und nur so können gemeinsam eine passende Lösung entwickeln.
Ihr WAMAS Software-Portfolio steht für leistungsfähiges Warehousing. Was macht es aus?
SSI SCHÄFER ist über die Jahre sukzessive gewachsen und hat seine Software-Kompetenz gezielt erweitert. 2008 wurde der Softwareexperte Salomon Automation Teil von SSI SCHÄFER und legte den Grundstein für unser inhouse entwickeltes Softwareportfolio WAMAS, ein leistungsfähiges Lagerverwaltungssystem, das sich aus perfekt aufeinander abgestimmten Produkten, Modulen und Lösungen zusammensetzt. Im IT-Bereich verfügen wir über die Kompetenz von über 1.000 Kollegen und Kolleginnen weltweit, die unsere Software stetig weiterentwickeln.
Sie bieten auch das Warehouse Management System von SAP an. Wie grenzen sich die beiden Systeme voneinander ab?
Wenn ein Kunde angibt, dass er aus der SAP-Welt kommt und sich dort wohl fühlt, dann können wir dank unserer SAP-Zertifizierung die Anlagen auf Wunsch auch mit SAP EWM realisieren. Wir richten uns nach dem Kunden. Bei hochperformanten Anlagen wie z.B. bei der automatisierten Kommissionierung stößt SAP jedoch teilweise an seine Grenzen. WAMAS ist dort besser geeignet, weil es dezidiert auf die intralogistischen Lösungen von SSI SCHÄFER ausgerichtet ist.
Der jüngste Spross sind die WAMAS Entry-Level Solutions für KMUs. Was zeichnet diese Lösung aus?
Der Ansatz ist, dass wir dort Module entwickelt haben, die man sehr schnell implementieren kann. Es handelt sich um bestimmte Standardmodule, bei denen Standardprozesse hinterlegt sind. Dies spart Zeit und individuellen Entwicklungsaufwand - in Summe Zeit und Geld, so dass wir die Lösungen sehr wettbewerbsfähig anbieten können. Für kleine und mittlere Unternehmen ohne spezielle Anforderungen an hochindividualisierte Prozesse ist diese Lösung perfekt und sehr kostengünstig.
Für TK ist die Einhaltung der Tiefkühlkette elementar. Welche Lösungen haben Sie hierfür entwickelt?
Ein TK-Lager funktioniert von den Prozessen her grundsätzlich ähnlich wie ein Lager mit Umgebungstemperatur. Es gibt aber Sonderprozesse, für die wir – basierend auf unserer Erfahrung – maßgeschneiderte Lösungen entwickelt haben. Die Kommissionierung wird z.B. oft in Räumen über null Grad durchgeführt, damit es angenehmer für die Mitarbeitenden ist: Unsere Lösungen überwachen in solch einem Szenario die Zeitspanne, in der die Produkte in diesem warmen Bereich sind. Rechtzeitig vor dem Überschreiten der Zeitspanne werden die Produkte ins Tiefkühllager zurückgeführt. Zudem ist hinterlegt, dass die Produkte erst nach einer gewissen Zeit wieder ausgelagert werden dürfen.
Warum sind Automatisierungslösungen und Robotik in der Intralogistik heute so unverzichtbar?
Die Motivation der Kunden ergibt sich einerseits aus dem steigenden Kostendruck, der zusätzlich durch den zunehmenden Personalmangel verstärkt wird. Wir sehen es speziell in Deutschland, aber auch in allen anderen hochentwickelten Ländern: Es steht immer weniger Personal zur Verfügung, sodass Unternehmen verstärkt auf Automatisierung setzen. Auf der anderen Seite sind die Anforderungen gestiegen, z.B. in der Kommissionierung: Bei den Produzenten hat man früher, wie gesagt, wenig kommissioniert, das ist heute ganz anders. In einem aktuellen Projekt hat z.B. ein Kunde eine automatisierte Lagen-Kommissionierung von uns erhalten. Und wie oben schon angesprochen muss die Kommissionierung im Lebensmitteleinzelhandel heute store-friendly sein. Das bedeutet, dass die Ware so effizient auf die Rollcontainer gepackt wird, dass der Rolli an einem Regalfach nach dem nächsten abgepackt werden kann. Das führt dazu, dass die Kommissionierung zu 100 Prozent sequenziert erfolgen muss, was viel spezifischere Vorgaben mit sich bringt. Mit unserer Automatisierung berücksichtigen wir genau diese Vorgaben. In unserer Software werden die Paletten virtuell aufgebaut – exakt nach den kundenspezifischen Anforderungen. Der Pickroboter packt sie anschließend präzise entsprechend dieser Vorgaben, wobei die Paletten nicht nur gemäß Artikelreihenfolge für die Filiale, sondern auch volumen- und stabilitätsoptimiert zusammengestellt werden können.
Mit KI steht ein Gamechanger vor der Tür der Intralogistik. Inwieweit wird KI den Betrieb von Lagerhäusern revolutionieren?
Das Thema ist sehr wichtig für uns, wir haben bei SSI SCHÄFER ein eigenes Start-up für KI namens Supply Brain gegründet. Dabei geht es zum Beispiel um Echtzeitanalysen für Personalplanung, die auf dem erwarteten Auftragseingang sowie auf historischen Auftragsdaten und Durchsätzen basieren. Ein weiterer Ansatz ist eine selbstlernende Zonierung für A-, B- und C-Dreher im Lager, um einen noch effizienteren Betrieb zu ermöglichen. Die KI kann selbstlernend dieses Slotting verbessern, um über gute Einlagerstrategien die Ziele zu erreichen. Predictive Maintenance ist zudem ein wichtiger Ansatz, um auf der einen Seite Kosten zu sparen und auf der anderen Seite trotzdem eine hohe Anlagenverfügbarkeit sicherzustellen. Es geht dabei darum, keine zyklischen Wartungen mehr durchzuführen, sondern ausschließlich dann, wenn die Maschine sie benötigt. Weiterhin ist das Ziel frühzeitig Fehler an einer Maschine zu detektieren, um Stillstände zu vermeiden. Das sind die drei Felder, an denen unser Start-up derzeit arbeitet. Aber ich bin mir sicher: In naher Zukunft wird es viele weitere Ansätze geben, um die Intralogistik mithilfe von KI zu verbessern.
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